Berlin (dts) – Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken sieht in Deutschland einen Kulturkampf nach US-Vorbild, an dem sich auch Konservative in der Union beteiligten. Die Koalitionsverhandlungen insbesondere zu gesellschaftspolitischen Themen seien sehr kontrovers verlaufen, sagte sie der „Frankfurter Rundschau“ (Samstagausgabe).
So sei es ein „Kampf“ gewesen, dass das Wort „queer“ wenigstens zweimal im vereinbarten Regierungsprogramm auftaucht. „Für einige Konservative ist es eines von zahlreichen `woken` Trigger-Wörtern, die sie hart bekämpfen. Das zeigt mir: Wir befinden uns mitten in einem Kulturkampf, der uns in voraufklärerische Zeiten zurückführen will – in den USA sehen wir das Vorbild dazu“, sagte Esken. „Ich stehe dafür ein, dass wir da standhaft bleiben.“
Wissenschaft und Zivilgesellschaft seien hoch alarmiert. „Das ist eine bittere und brandgefährliche Realität in unserem Land.“ Das zeigte sich der Parteichefin zufolge auch im Ringen um das Kapitel zur Gleichstellung von Frauen. „Das hätte die CDU gern weggelassen“, sagte sie. „Mir war es aber wichtig, dass der Gender-Pay Gap nicht nur angesprochen, sondern auch bekämpft und überwunden wird. Frauen verdienen immer noch viel weniger, sogar in gleicher Tätigkeit.“ Es sei nicht einfach gewesen, das in den Text hineinzubekommen.
Gleiches gelte für das Anliegen, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Da sei bei den konservativen Kollegen nichts zu machen gewesen. „Ich glaube, dass mittlerweile 80 Prozent der Bevölkerung sagen, das kann weg, und doch wird dem die Zustimmung verweigert“, sagte Esken. „Das ist echt bitter.“
Außerdem kritisierte die Parteichefin die scharfe Rhetorik in der Migrationsdebatte. „Ich finde es gerade in unserer alternden Gesellschaft, die so dringend auf Zuwanderung angewiesen ist, hochproblematisch, Migration als die `Mutter aller Probleme` zu verhetzen“, sagte Esken. „In jedem Krankenhaus oder Pflegeheim, in der Produktion und in der Gastronomie kann man doch sehen, dass Migration unverzichtbar ist und für uns alle ein Gewinn.“ Deshalb habe die SPD das Chancenaufenthaltsrecht verlängert und das moderne Staatsbürgerschaftsrecht verteidigt. Im Koalitionsvertrag ist indes vorgesehen, die von der Ampel eingeführte „Turbo-Einbürgerung“ nach drei Jahren wieder abzuschaffen.
Esken verteidigte das Bürgergeld. Die Vorstellung der Union, mit der „Totalsanktion“ von Totalverweigerern „ließe sich der Bundeshaushalt sanieren, ist komplett illusorisch“. Vielmehr sei es „wichtig und richtig, dass wir den Jobcentern für Maßnahmen zur Qualifizierung und Befähigung die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen“, sagte die Sozialdemokratin und sprach sich damit für weitere Investitionen in das System aus. Die SPD führt in der wohl künftigen Regierung erneut das Arbeitsministerium.
Die SPD-Chefin erteilte den Jusos eine Absage, die Nachverhandlungen zum Koalitionsvertrag verlangt haben. „Der Wunsch danach blendet aus, dass dann nicht nur unsere Schmerzpunkte nachverhandelt würden, sondern auch die der anderen. Das können wir nicht wollen“, so Esken.
Sie ging zudem auf die Kritik an ihrer Person ein. „Ich sehe das nicht als persönliches, sondern als strukturelles Problem. Nicht zuletzt als linke Politikerin, die den Mund aufmacht für Gerechtigkeit, provoziere ich Widerspruch im konservativen Teil der Gesellschaft“, sagte Esken. „Insgesamt werden Frauen in der Politik anders bewertet als Männer.“
Foto: Saskia Esken (Archiv), via dts Nachrichtenagentur