Oldenburg. Der international bekannte Aktivist und Pianist Igor Levit wurde am Freitagabend, 9. Dezember, mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg für Zeitgeschichte und Politik 2022 ausgezeichnet.
Im Rahmen des Festaktes im Oldenburger Kulturzentrum PFL würdigte Oberbürgermeister Jürgen Krogmann Levits klare Haltung und sein vorbildliches Engagement – sei es zur Unterstützung der Ukrainerinnen und Ukrainer oder an der Seite der Klimaaktivisten von Fridays for Future.
Die Laudatio auf Igor Levit hielt die Berliner Journalistin und Moderatorin Shelly Kupferberg: „Ob er sich mitsamt Klavier zu Klimaaktivistinnen und -aktivisten in den Dannenröder Forst begibt und dort spielt, nach den Anschlägen auf die Synagoge in Halle in Berlin auf einer Gedenkversammlung die Goldberg-Variationen interpretiert, ob er bei der Londoner ‚Night of the Proms‘ die Ode an die Freude bereithält – in vielen kleinen und großen Gesten und Aktionen positioniert er sich unmissverständlich und deutlich – musikalisch und verbal: gegen Menschenverachtung, Diskriminierung, Rassismus, Gewalt, Antisemitismus, Rechtsradikalismus, gegen den Hass auf Geflüchtete. Und für die Menschenrechte und die Menschenwürde. Er ist einer, der aufsteht, und sich mit seiner Haltung zu erkennen gibt.“
Levit: „Motivation ist es, nicht mutig sein zu müssen, irgendwann einmal“
Igor Levit selbst sagte in seiner Dankesrede: „Ich freue mich über diese Auszeichnung. Ich freue mich hier zu sein. Ich will trotzdem darauf hinweisen, dass es auch andere Gefühle gibt – Widersprüche.“ Die Erinnerung wach zu halten, den Kampf gegen Antisemitismus zu führen – verbunden mit offenen wie auch subtilen, ganz alltäglichen Angriffen – sei hart. „Ich würde mit allem, was ich habe, Tag für Tag, alles unterstützen, was mit aktiver Erinnerungskultur zu tun hat. Aber sie verlangt von mir als Juden einen sehr hohen Preis.“ Dennoch, und mit Blick auf die Menschen in Afghanistan oder in der Ukraine, sagte Levit weiter: „Ich bin nicht mutig. Der einzige Preis, den ich bezahle, mein Mundwerk aufzumachen, ist ein Kommentar in einem Boulevardblatt, ein Shitstorm auf Twitter oder eine Handvoll sehr grobschlächtiger Morddrohungen. Ich habe mich gefragt, was ist meine Motivation? Meine Motivation ist es, nicht mutig sein zu müssen, irgendwann einmal.“
Auch Jury würdigte Levits Einsatz für Menschenrechte und Menschenwürde
Auch die Jury hob Levits Einsatz „für die uneingeschränkte Achtung der Menschenwürde“ hervor und sagte weiter: „Als politisch denkender, sprechender und handelnder Mensch erreicht Igor Levit Menschen verschiedener Generationen und sensibilisiert für die Dringlichkeit mutigen zivilgesellschaftlichen Engagements.“ Zur unabhängigen Jury gehören die Historikerin Prof. Dr. Dagmar Freist (Universität Oldenburg), der Journalist und frühere Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein Friedrich-Wilhelm Kramer (Hamburg), der Journalist und ehemalige Tagesthemen-Moderator Thomas Roth (Berlin) sowie der Historiker Prof. Dr. Martin Sabrow (Potsdam, Senior Fellow am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung).
Zur Person Igor Levit
Igor Levit wurde 1987 in Nizhni Nowgorod als Sohn jüdischer Eltern geboren. Bereits ab seinem dritten Lebensjahr erhielt er Klavierunterricht bei seiner Mutter. Als er acht Jahre alt war, siedelte die Familie nach Hannover über. Ab 1999 folgte ein Studium am Mozarteum in Salzburg, das er anschließend an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover fortführte. Inzwischen ist er in den größten Musikhäusern der Welt zu Gast. Sein breites Repertoire umfasst neben Bach und Beethoven auch Komponisten der klassischen Moderne sowie zeitgenössische Musik. Seit 2019 ist Levit Professor für Klavier an der Musikhochschule Hannover.
Levit war durch seine Corona-Hauskonzerte auf Twitter 2020 auch einem großen Publikum jenseits der internationalen Konzertbühnen bekannt geworden. Er positioniert sich nicht nur in politischen Statements in den sozialen Medien, sondern auch mit musikalischen Open-Air-Auftritten gegen rechts, wie etwa 2021 in Jamel bei Wismar. In Zeiten, in denen wissenschaftliche Fakten geleugnet, Menschenrechte verletzt oder demokratische Prinzipien gefährdet werden, bezieht Levit mit deutlichem gesellschaftspolitischen Engagement Stellung. So haben unter anderem die Flüchtlingsströme 2015, das weltweite Erstarken von Rechtspopulismus, Extremismus und Antisemitismus sowie der Klimawandel wesentlich zu seinem politischen Engagement beigetragen.
Kompositionspreis für Étienne Haan – Uraufführung des Auftragswerks
Im Rahmen des Festaktes wird traditionell auch der mit 3.000 Euro dotierte Kompositionspreis für Zeitgenössische Musik verliehen: Er ging in diesem Jahr an den französischen Komponisten Étienne Haan. Mitglieder des oh ton-Ensembles haben seine Auftragskomposition „Auf der Weltbühne“ für Flöte, Akkordeon und Kontrabass uraufgeführt. Der musikalische Beirat hob den auffälligen Stil des 30-Jährigen Komponisten hervor: „Das Beeindruckende seines Stils ist das kompositorisch beherrschte Vorhandensein fast sämtlicher Techniken der Neuen Musik, die immer wieder von sehr eingängigen rhythmischen Passagen gebrochen werden. Diese Brechungen hochkomplexer Klangfelder gegen sinnlich vertraute Klanggesten ergreifen direkt das Publikum und führen zu einer enormen Attraktivität der Musik.“
Zum Carl-von-Ossietzky-Preis
Der mit 10.000 Euro dotierte Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik wird bereits seit 1984 jeweils alle zwei Jahre von der Stadt Oldenburg in Erinnerung an den Namenspatron verliehen. Ausgezeichnet werden Personen, einzelne Arbeiten oder Gesamtwerke, die sich mit Leben und Werk Ossietzkys oder die sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auseinandersetzen. Der Preis kann auch für Arbeiten oder Personen zuerkannt werden, die sich im Geiste Carl von Ossietzkys mit der demokratischen Tradition und Gegenwart in Deutschland oder mit Themen der Politik und Zeitgeschichte befassen.