Oldenburg. Ein Truthahn lässt sich gutgläubig sein Leben lang von Menschenhand füttern, bis diese Hand eines Tages, bevorzugt an Thanksgiving, ein Schlachtermesser führt. „Seien Sie kein Truthahn!“, forderte Prof. Dr. Nick Lin-Hi seine Zuhörerschaft im „Schirrmann’s“, der Gastronomie in der Jugendherberge Oldenburg, auf.
Der Experimentalökonom, der seit 2016 an der Universität Vechta eine Professur für Wirtschaft und Ethik innehat, war am Mittwochabend, 7. Dezember, Vortragsredner beim von der Oldenburger Wirtschaftsförderung organisierten „Kontaktpunkt Wirtschaft“. Mit seinem Truthahn-Beispiel ermahnte der Hochschullehrer die 175 Gäste, die Zeichen der Zeit zu erkennen und sich Veränderungen zu stellen, ehe es zu spät ist.
Faltencremes statt Filmdosen
Was passiert, wenn technologische Entwicklungen verpasst werden, zeigte Lin-Hi am Exempel des Handyherstellers Nokia. Zwischen Marktführerschaft und Schließung der Handysparte lagen nur acht Jahre. Den Fotokonzern Fuji führte er als Gegenbeispiel an: Auf die digitale Revolution, die ihnen das Kerngeschäft geraubt habe, hätten die Japaner mit einer klugen Umstrukturierung reagiert und fortan Faltencremes produziert. Denn viele chemische Komponenten, die Filmmaterial vor dem Verblassen schützen, eignen sich auch, um die Haut zu straffen.
Nicht radikal genug
Für die nächsten 20 Jahre erwartet Lin-Hi gar den größten Technologiesprung aller Zeiten. „Darauf sind wir in Deutschland aber nicht vorbereitet. Unser Problem ist, dass wir nicht radikal genug sind“, befand der Wirtschaftsethiker in seinem Vortrag vor Führungskräften der Oldenburger Wirtschaft. Bis 2042 werde der Fortschritt dafür sorgen, so seine These, dass Neugeborene eine Lebenserwartung von 200 Jahren haben werden und der weltgrößte Fleischkonzern gegen Nutztierhaltung sein wird. Womit der Universitätsprofessor bei einem seiner Kernthemen, der Zukunft der Ernährung, angelangt war. Er ist davon überzeugt, dass „In-Vitro-Fleisch“, also Fleisch aus Stammzellen im Labor, in den kommenden Jahren den Siegeszug antreten und konventionell erzeugte Burger, Wurst und Co. zunehmend aus dem Supermarktregal verdrängen wird.
Dynamische Entwicklung in Oldenburg
Auf Veränderungen – zum Positiven – war zuvor auch Oberbürgermeister Jürgen Krogmann eingegangen: Stolz zeigte er sich darauf, dass sich Oldenburg im Dynamikranking 2022 unter den Top 10 der deutschen Großstädte platzieren konnte. Zudem sei die Stadt vom Digitalverband Bitkom zum „Aufsteiger des Jahres“ beim Smart City Index 2022 gekürt worden. Dass die Stadt trotz schwieriger werdender Haushaltslage vergleichsweise gut dastehe, sei auf die anhaltend positive wirtschaftliche Entwicklung und stabile Gewerbesteuereinnahmen zurückzuführen. Dafür bedankte er sich bei den Oldenburger Unternehmerinnen und Unternehmern: „Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken“, betonte Krogmann.
Neue Jugendherberge trotzt Krise
Zu übermäßigem Pessimismus neigt auch Hausherr Markus Acquistapace nicht. Der Leiter der Jugendherberge hat sein 2019, kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie, neu eröffnetes Haus als Inklusionsbetrieb erfolgreich durch die Krise geführt, beschäftigt 59 Mitarbeitende und wird am Ende dieses Jahres voraussichtlich auf rund 30.000 Übernachtungen kommen. Diese Widerstände überwindende Erfolgsgeschichte bot den „Kontaktpunkt“-Gästen ebenso viel Gesprächsstoff wie die aufrüttelnden Zukunftsthesen von Prof. Dr. Lin-Hi. Einig waren sich alle darin: Das Truthahn-Schicksal will niemand teilen.
Wirtschaftsförderung begleitet Unternehmen auch in (die) Zukunft
Das Angebot, aktiv auch die Wirtschaftsförderung in Unternehmensentwicklungen oder bei Projekten und Vorhaben mit einbinden zu können, unterstrich Ralph Wilken, Leiter der Wirtschaftsförderung, an diesem Abend erneut. „Sowohl bei neuen Themen und unternehmerischen Weiterentwicklungen, als auch in kritischen Zeiten und bei herausfordernden Rahmenbedingungen steht die Wirtschaftsförderung den Unternehmen in der Stadt Oldenburg beratend und unterstützend zur Seite.“ Netzwerktreffen wie der „Kontaktpunkt Wirtschaft“, die Unternehmerinnen und Unternehmer zusammenbringen, sind ebenso ein Instrument der Wirtschaftsförderung.