Müssen wir da immer noch drüber reden? Heute vor zwei Tagen hat die UEFA entschieden, dass die Allianz-Arena in München zum gestrigen Spiel zwischen Deutschland und Ungarn nicht in Regenbogenfarben beleuchtet werden darf. Zu politisch, hieß es. Dass die EM – wie groß von der UEFA angekündigt – ein Turnier für alle sein soll, wirkt im Nachhinein wie ein äußerst ironisches Statement.
Schnell flatterten etliche Reaktionen auf diese Entscheidung rein, vor allem auf Twitter. Dort fanden sich Vorschläge wie: „Was will die UEFA denn machen? Lasst uns einfach alle zusammenlegen für die Geldstrafe und die Lampen einfach trotzdem anmachen!“ Getraut hat sich das leider niemand. Dafür erschienen einige wenige Leute mit Regenbogenfahnen, -ketten und -masken zum Spiel, und auch das DFB-Team ließ in seinen Social-Media-Beiträgen seine Ansicht zur Entscheidung verlauten: Manuel Neuer trug seine Regenbogen-Kapitänsbinde, die farbigen Schuhe der Spieler deuteten in die gleiche Richtung. Held des Abends war der Flitzer, der in den ersten Minuten mit Regenbogenflagge aufs Feld rannte.
Hätte man der UEFA Folge leisten müssen? Hätte man nicht einfach im Einklang mit den kleinen Gesten auch die große Geste durchziehen können? Ich meine: Ja. Wie kann es denn sonst bitte sein, dass eine nicht-staatliche Organisation entscheidet, ob eine Geste politisch ist oder nicht, und dementsprechend nicht stattfinden darf?! Alle, die sonst laut nach Meinungsfreiheit schreien, müssten darüber eigentlich erbost sein.
Politisch oder nicht?
Die Frage ist nicht, ob die Beleuchtung mit Regenbogen politisch ist oder nicht. Meines Erachtens ist sie es nicht, denn entweder macht man sich für Menschenrechte stark, oder man ist eben kacke. Was eigentlich passiert, ist, dass die UEFA eine gefährliche Haltung toleriert und damit weitervermittelt. Die, dass es okay ist, homosexuelle Menschen als unnatürlich zu labeln und verbieten zu wollen. Wenn das nicht viel politischer ist.
Ich bin ehrlich: Fußball ist mir die meiste Zeit völlig egal – wenn Europa- oder Weltmeisterschaft ist, schalte ich vielleicht mal zwischendurch rein oder lese mir die Ergebnisse durch. Das wars aber auch. Menschenrechte hingegen sind mir nicht egal. Ich bin wütend, diese ganzen tollen Regenbogengesten in Ehren. Aber: Mehr als Gesten sind das einfach nicht. Es bringt überhaupt nichts, dass zig andere Fußballstadien als Ersatz für die Allianz-Arena ihre Beleuchtung auf Regenbogen eingestellt haben, wenn homosexuelle Menschen immer noch zwölf Monate enthaltsam leben müssen, um Blut spenden zu können (ist ja nicht so, dass wir Blutspenden en masse haben). Es ist völlig irrelevant, dass Leon Goretzka auf Instagram „Spread Love“ schreibt, wenn die gleichgeschlechtliche Ehe nicht mit der traditionellen gleichgestellt ist und trans Menschen weiterhin entwürdigt werden, weil sie nicht selbstbestimmt leben können.
Gesten über Gesten
So viele Menschen zeigen die richtigen Gesten, sie ändern ihre Profilbilder, positionieren sich. Das ist wichtig und richtig, absolut. Es bringt mich aber zum Kochen, wenn sich scheinheilige Politiker:innen (wie etwa die äußerst unkompetente Drogenbeauftragte Daniela Ludwig) öffentlichkeitswirksam mit Regenbogen-Armbinde à Manuel Neuer in den Sozialen Medien posten, obwohl sie gleichzeitig vor gerade mal einem Monat gegen eine Veränderung des kritischen Transsexuellengesetzes gestimmt haben. Alles für den Wahlkampf, was? Ich habe einfach die Nase voll von den Gesten, vor allem von den Leuten, die wir eigentlich wählen, damit sie diese Dinge ändern. Sie sind die, die es tatsächlich in der Hand haben, die Gleichberechtigung von LGBTQ-Personen in Deutschland voranzutreiben. Aber anscheinend müssen wir da immer noch drüber reden. Denn außer Gesten passiert hier aktuell gar nichts.
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