Ein wehmütiger letzter Vorhang: Am Samstag gab es in der Exerzierhalle die letzte Vorstellung von „Selfies einer Utopie“. Was man eigentlich von Netflix und Co. kennt, brachte Nicola Bremer auf die Bühne: eine Theater-Serie. Das Konzept ist dabei denkbar einfach und dennoch zerstörerisch. Jeden Monat schreibt er immer nur kurz vor der Vorstellung einen neuen Text. Dieser wird dann drei Schauspieler:innen vom Staatstheater, die jenen Text noch nie gelesen haben, auf die Bühne geworfen. Und Bremer? Der sitzt in der ersten Reihe und verändert das Ganze, in dem er große Schilder mit Regieanweisungen hochhält. Von Flirten über traurig bis hin zu faschistisch ist da alles dabei. Theater-Anarchismus könnte man das wohl nennen.
Überraschung für alle
Obwohl selbst er als Regisseur nie weiß, was am Ende während der Vorstellung passiert, funktioniert diese Idee einwandfrei. 2016 startete Nicola Bremer die Serie am Schauspielhaus Dresden – dort erlangten zwei gefeierte Staffeln schnell Kultstatus. Auch in Oldenburg kamen die Folgen gut an. Zur fünften und letzten Folge am Samstag war die Exerzierhalle gut gefüllt und das Publikum lachte ausgiebig. Seine italienische Herkunft kann Bremer dabei nicht verbergen, so ist seit jeher Eros Ramazotti der Hauptcharakter jeder Folge, auch seine Musik unterbricht und untermalt das Stück immer wieder. In der heutigen Folge gab es die Hommage in Form eines bedruckten Oberteils, das einer der Schauspieler trug: „Italian Boys – they are the best in the world“.
Folge fünf
Thematisch beschäftigte sich fünfte Folge natürlich viel mit dem Krieg in der Ukraine und generell mit Außenpolitik – auch mit feministischer, denn Eros Ramazotti wird Außenministerin. Und dabei kommt kaum eine Figur der aktuellen Politik gut weg: Olaf Scholz lächle wie ein Schlumpf und Wolodymyr Selenskyj sei deutlich attraktiver als Christian Lindner. Die Schauspieler:innen sprechen über Entglobalisierung und Aufrüstung, aber natürlich geht auch Pop- und Internetkultur nicht an Bremer vorbei, also geht mit dem 9-Euro-Ticket auf nach Sylt.
Die politische Satire kommentiert das aktuelle Geschehen in Deutschland und der Welt, und hier kommt auch Oldenburg nicht zu kurz. Da kommt Außenministerin Eros Ramazotti schnell mal auf die Idee, aus Gründen des Friedens den Oldenburger Waffenplatz in Friedensplatz umzubenennen. Oder noch besser: in Waffelnplatz. Das Ganze ist intensiv und energetisch – und immer auch ein Stückchen trashig, wenn in den musikalischen Pausen mit zerknüllten Skriptseiten Golf gespielt wird oder die Schauspieler:innen unter Stroboskoplicht sich mal eben gegenseitig verprügeln. Unterhaltsam also allemal.
Als Nächstes
Für „Selfies einer Utopie“ war es also die vorerst letzte Vorstellung in Oldenburg. So darf eine angemessene Verabschiedung zum Ende der Aufführung nicht fehlen. Die Schauspieler:innen schickten mit allen möglichen sprachlichen Kombinationen von „Tschüsseldorf“ über „Sayonara Carbonara“ bis hin zu „Paris, Athen, Auf Wiedersehen“ das Publikum gebührend in den Feierabend. Für Nicola Bremer ist aber noch lange nicht Schluss. Er reist gern, zuletzt war er in Schweden, und so zieht es ihn nach Abschluss von „Selfies einer Utopie“ natürlich weiter. Sein nächstes Stück feiert im September Premiere am Theater in Bautzen, es folgt eine Inszenierung in Rumänien. Aber, wie er sagt, mit der Hoffnung im Gepäck, bald wieder nach Oldenburg zurückzukommen.